Spannende Reisen zu Webereien
Es ist ratsam, diese kleine technische Einführung in die Jacquardweberei und meinen Anfang in der Textilbranche zu kennen, damit man den weiterführenden Reiseberichten thematisch besser folgen kann. Ich bemühe mich dabei, die Erklärungen so zu geben, dass sich auch Laien etwas darunter vorstellen können. :-)
(Sie finden die Reiseberichte auch als Podcast auf Spotify oder hier auf der Webseite)
Sie wundern sich vielleicht, warum ich die Überschrift "Wie kommt man als Frau zu so einem Beruf?" für das nachfolgende erste Kapitel gewählt habe. Vermutlich denken Sie, dass der Beruf des Textildesigners und Textiltechnikers grundsätzlich ein Frauenberuf ist. Das rührt daher, dass viele Menschen glauben, ein Textildesigner ist jemand der „Klamotten zusammennäht“.
Ich bin nun seit 30 Jahren in dieser Branche tätig und kann aus den vielen privaten Erfahrungen davon ein Liedchen singen, woran Menschen denken, wenn sie die Berufsbezeichnung Textildesigner / Textiltechniker hören. Die meisten Menschen machen sich keine Gedanken darum, wie Stoffe entstehen. Stoff scheint es einfach so zu geben. Vermutlich fällt er vom Himmel. Wenn jemand etwas mit Textilien macht, ist es nach vielerlei Vorstellungen so, dass diese Person näht. Erst recht, wenn es sich um eine Frau handelt, die in diesem Tätigkeitsbereich zu Hause ist.
Doch weit gefehlt! Das Gebiet Textil ist ein endlos großes Feld. Wir alle umgeben uns 24/7 mit Textilien aus allen möglichen Bereichen der Herstellung. Der Begriff Textil steht für den Stoff, also das Material, aus dem eine Fläche entstanden ist. Es steht nicht für die Konfektion.
Die Arbeit, die man als Textildesigner und Textiltechniker ausführt, findet in heutiger Zeit zu 100% am Computer statt. Dafür benötigt man spezielle CAD-Design-Anlagen, um die vorher kreierten Designs in technische Daten umzuwandeln. Damit steuert man die großen elektronischen Webstühle und Jacquardmaschinen an. Solche Berufsgruppen haben absolut nichts mit dem Nähen zu tun.
In der Praxis ist es so, dass die Textildesigner meist weiblich sind und die Textiltechniker überwiegend männlich. Letztere arbeiten eng mit der Produktion zusammen. Also mit der Weberei. Dort wiederum findet man fast ausschließlich Männer (vor allem in Ländern wie Indien, China, Türkei usw), denn es ist ein Beruf, der nicht ganz ungefährlich ist...
(Ausnahmen der Geschlechter in den jeweiligen Berufsgruppen bestätigen die Regel. Ich bin so eine, denn ich bin in beiden Bereichen zu Hause.)
So weit, so gut!
Aber es geht noch tiefer, denn es gibt viele verschiedene Herstellungsverfahren und Möglichkeiten, Stoffe herzustellen und zu veredeln: gewebte, gestrickte, gewirkte Stoffe sind nur drei Beispiele daraus. Diese Techniken unterteilt man wiederum in weitere Felder.
Wir bleiben bei der Fachrichtung gewebte Stoffe, da ich eine Spezialistin in dieser Gruppe bin. Gewebte Stoffe kann man als einfache Schaftgewebe herstellen, die später meist nur stückgefärbt oder bedruckt werden. Wenn es hochwertiger sein soll, entscheidet man sich für Textilien aus der Jacquardweberei. Hier hat man die Möglichkeit, die Muster direkt am Webstuhl zu erzeugen, indem die Kett- und Schußfäden entsprechend miteinander verkreuzt werden...
Mir ist bewusst, das Thema ist momentan noch sehr fachlich, aber damit Sie den Reiseberichten folgen und meine Einsätze in fernen Ländern besser verstehen können, muss ich einen kleinen fachlichen Einblick in die Materie geben. Halten Sie durch! Es wird bald thematisch lockerer.
...Fahren wir fort: Die Jacquardweberei ist die komplexeste Form, Gewebe herzustellen, da die Technik dafür sehr anspruchsvoll ist. Gelangt man an dem Punkt an, dass man diese Unterschiede erfasst hat, wird man feststellen, dass wiederum die Jacquardweberei in verschiedene Webtechniken unterteilt ist: Flachgewebe (für Bettwäsche, Mode, Dekostoffe), Frottiergewebe (für Handtücher, Bademäntel und Badematten), Lanziergewebe (für Gobelins) und Hohlgewebe (für Matratzenstoffe). Abgesehen davon, gibt es noch eine Vielzahl von technischen Geweben, die mit abgewandelten Bindungstechniken hergestellt werden.
Es ist selten, dass jemand all diese Unterbereiche der Jacquardweberei beherrscht, denn die Herstellungsverfahren sind unterschiedlich, was daher rührt, dass die großen elektronischen Webstühle und Jacquardmaschinen individuell auf die einzelnen Webverfahren ausgelegt sind. Ein Textiltechniker, der eine Jacquardmaschine programmieren kann, damit beispielsweise ein hochwertiger Damaststoff entsteht, ist nicht automatisch in der Lage Frottiergewebe umzusetzen. Er muss sich erst mit der speziellen Webtechnik intensiv auseinandersetzen, bevor er Daten dafür anfertigen kann.
Darüber hinaus ist es so, dass sich Textildesigner meist eher auf den kreativen Part konzentrieren und damit beschäftigt sind, ständig neue Stoffe und Kollektionen zu kreieren. Der Textiltechniker ist hingegen die Person, die diese Designs technisch für die Produktionsmaschinen umsetzt und webfertige Daten erstellt. Um Letzteres ausführen zu können, braucht man ein hohes Maß an technischem Verständnis und eine gute abstrakte Vorstellungsgabe, damit man das vorgegebene Design, den Wünschen des Textildesigners entsprechend, umsetzen kann.
So, nun sind Sie gerüstet, in die nächste Folge mit mir zu gehen. Darin erzähle ich Ihnen endlich, wie ich es schaffte, mich als Frau in einer internationalen Männerdomäne zu etablieren. Wie ich sogar in Ländern wie Syrien, Türkei, China, Indien etc tätig wurde, um dort in den Produktikonsstätten auf eigenes Risiko zu arbeiten.
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