Bei mir ist es so, dass ich mich in zwei Welten bewege: Einerseits bin ich kreativ und verfüge über die Gabe des Zeichnens und Malens, andererseits faszinieren mich Maschinen und Programmierungen. Daher war für mich immer klar, dass ich beide Bereiche ausführen möchte: Den kreativen Part und den technischen. Abgesehen davon lerne ich gerne Neues und so war es mein großer Antrieb, möglichst alle Webtechniken zu erlernen, damit ich wirklich in jedem Fachbereich entwickeln kann. Um das zu erreichen, arbeitete ich nach meiner (mit „sehr gut“ abgeschlossenen) Ausbildung zum Textilmustergestalter Gewebe (heute Produktgestalter Textil) erst in einer mittelständischen Frottierweberei als Textildesignerin / Textiltechnikerin. Ich war für die Dessinierung und technische Entwicklung von Geweben und Stickereien zuständig. Es wurde mir recht schnell die Ateliersleitung zugeteilt, damit ich das Team der Designabteilung leiten würde. Danach wollte ich den Fachbereich wechseln und mein innigster Wunsch war es, bei der Dierig Holding AG in Augsburg anfangen zu können. Diese Firma war einstmals die größte Baumwollspinnerei Europas und nach den 1960ern wieder das größte Textilunternehmen Deutschlands. Mehr Infos zu der Firma findet man auf Wikipedia.
Bei meinem Vorstellungsgespräch mit Herrn Christian Dierig, sagte ich ihm, dass ich das Ziel habe, das Studium als Textilingenieur on top zu legen. Bis ich mir diesen Schritt finanziell leisten könnte, würde ich gerne in seinem Betrieb tätig sein, denn ich möchte mich mit der Entwicklung von modischen Flachgeweben und Damasten auseinandersetzen. Er grinste kurz und sagte dann ganz lässig: „Wenn ICH Sie nehme, brauchen Sie das nicht mehr zu studieren. Gehen Sie lieber in die Welt hinaus und lernen Sie vor Ort! Dabei lernen Sie mehr, als im Hörsaal!“ Das fand ich äußerst beeindruckend, denn es entsprach meiner Abenteuerlust, die Welt zu entdecken. Zu meiner großen Freude bekam ich die Stelle und so kniete ich mich in die Materie der jacquardgewebten Herrenmodestoffe und Bekleidungsdamaste für Afrika.
Dies war Stufe eins meiner textilen Laufbahn. Schritt zwei sollte sein, dass ich unbedingt umfangreiche Auslandserfahrungen machen wollte. Ich bewunderte von jeher die Monteure der Maschinenhersteller, die oft in unsere Produktion kamen, um die Jacquard- und Webmaschinen zu prüfen. Sie bereisten die Welt und hatten so viele spannende Geschichten zu erzählen. Ich wünschte mir ebensolche Erfahrungen und ich brannte darauf, weiter zu lernen. Von Seiten meiner Familie hieß es wenig motivierend, dass ich ja „nur“ eine Frau wäre und das nicht tun könnte, denn es ist gefährlich, in solche Länder zu gehen. Auch meine Arbeitskollegen waren eher skeptisch, wie ich das realisieren könnte...
Doch ich ließ mich nicht beirren und tüftelte weiter an meinem Plan:
Mir war immer klar, dass ich eine Designanlage benötige, um international das perfekte Design- und Technikkonzept anzubieten. Noch während meiner Zeit, als ich bei der Firma Dierig arbeitete, wollte ich diese Investition tätigen. Ich wünschte, komplett einzutauchen, in diese spannende Welt der Textilherstellung, in der sich nur Männer bewegten und die auch heute noch - fast ausschließlich - von Männern geleitet wird. Ich wollte nicht gelten lassen, dass ich das alles nicht sehen und lernen könnte, nur weil ich eine Frau bin.
Es war mir egal, wo diese Maschinen standen. Ich wollte dort hin, wo die Webstühle sind, und es war mir ein Bedürfnis, mehr zu wissen, über neue Webtechniken, ferne Länder und fremde Kulturen. Je abenteuerlicher und authentischer das Einsatzgebiet war, umso interessanter fand ich es.
1995 war es dann so weit und ich kaufte meine eigene CAD-Design-Anlage, um in der Lage zu sein, alle gängigen Jacquardmaschinen anzusteuern. Das war ein großer finanzieller Schritt. Die Anlage kostete damals umgerechnet (auf den heutigen Wert angepasst) € 60.000,--.
Ich werde nie vergessen, als ich, im zarten Alter von 24 Jahren, bei dem Jacquardmaschinenhersteller Große in Neu-Ulm im Besprechungsraum saß und mit den beiden strengen älteren Herren Grosse und deren Verkaufsleiter verhandelte, damit ich eine CAD-Design-Anlage von ihnen kaufen konnte. Ralf Große fragte mich: „Und Sie sind dann auch so eine brotlose Designerin, die während der *Heimtex in Halle 1 sitzt und hofft, dass jemand ihre Designs kauft?“ Ich antwortete bestimmt: „Nein! Ich werde dort niemals ausstellen! Ich gehe den Weg anders! Damit das gelingt, brauche ich eine Design-Anlage von Ihnen. Da Sie Jacquardmaschinen und CAD-Anlagen in die ganze Welt verkaufen, könnten Sie mich als Designerin und Technikerin anbieten, falls ein Kunde Hilfe bei der Erstellung der Kollektionen benötigt. Sie haben dann einen zusätzlichen Joker gegenüber Ihren Konkurrenten im Ärmel und ich habe einen Auftrag.“Sie sahen mich beide sehr skeptisch an, dann sagte der Bruder: „...Und sie glauben, dass Sie wiederkommen, wenn wir Sie - als junge blonde Frau - beispielsweise nach Syrien oder Pakistan vermitteln? Das können wir ja gar nicht verantworten!“
Ich blieb aber dabei und sagte: „Sie brauchen das nicht zu verantworten. Ich reise auf eigenes Risiko. Sie müssen mich nur empfehlen. Den Rest manage ich selbst. Sollte ich mal nicht mehr wieder kommen, ist es nicht Ihr Problem!“ Sie sahen mich mit großen Augen längere Zeit an. Schließlich stimmten sie zu.
Anschießend musste ich um den Preis der Design-Anlage verhandeln, denn ich hatte nur einen mühselig selbst angesparten Bausparvertrag über € 25.000,--, den ich als Startkapital verwenden konnte. Um eine bessere Verhandlungsbasis zu haben, bot ich an, die Anlage als Vorführanlage für deren internationale Kunden bereitzustellen. Das bedeutet, wenn die Firma Grosse Kaufinteressenten für ihre CAD-Systeme hatte, konnten sie mit ihren Kunden in mein Büro kommen und ich demonstrierte wie die Anlage funktionierte.
Zusätzlich offerierte ich, den Programmierern bei der Verbesserung der Software zu helfen, indem ich ihnen Verbesserungsvorschläge aus Sicht des Anwenders unterbreitete. Die drei Herren stimmten zu und gaben mir die Anlage zum halben Preis. Das war fantastisch!
Die Gebrüder Grosse waren mir gegenüber so hilfreich, dass ich außerdem bei der Bezahlung, die erste Hälfte des Betrages als Anzahlung leisten und die zweite Hälfte in einem 3-jährigen zinslosen Ratenplan abbezahlen durfte. So blieb mir noch Geld, um die ebenfalls teuere Hardware zu kaufen.
Als alles geregelt war und die Anlage schließlich bei mir zu Hause ankam, bin ich also - als junge blonde Frau - in die internationale, von Männern dominierte, Textiltechnik tief eingetaucht und habe trotz aller Widrigkeiten den Beruf meiner Träume vertieft.
Wenn Sie wissen möchten, wohin es mich als Erstes verschlagen hat und was ich dort alles erlebte, dann lesen Sie unbedingt den nächsten Forumsbeitrag. Alternativ können Sie die Folgen auch als Podcast auf dieser Seite oder auf Spotify anhören.
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(Sie finden die Reiseberichte auch auf Spotify-Podcast oder hier auf der Webseite)
Erklärung:
*Die Heimtex ist die weltgrößte Heimtextilienmesse für Fachbesucher in Frankfurt. In Halle 1 saßen früher die Textildesigner und hofften darauf, ihre mühsam gezeichneten Entwürfe an Fachpublikum zu verkaufen. Das war oft traurig anzusehen, denn es steckte so viel Arbeit in deren Designs und es war so schwer, gut zahlende Käufer dafür zu finden. Heute sind sie in einer anderen Halle untergebracht. Die Arbeit für reine Textildesigner wurde mittlerweile noch härter.